Peggy Buth: Vom Nutzen der Angst

Achim Lengerer: Tonspuren zur Linken

 

 

Vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse unserer Zeit hat sich unsere Arbeit mit dem Thema nicht nur mit den Archiven des Arbeitskampfes befasst. Wir haben uns viele Gedanken dazu gemacht, wer in Peggy Buths Arbeiten in welcher Form repräsentiert wird, wer eine Stimme bekommt. Unsere Ausführungen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Endgültigkeit und sollen zum Weiter-, Um- und Nachdenken anregen.

 

 

 

Urbane Räume sind öffentliche Archive und prägen Wahrnehmung und Sichtbarkeit

 

Im Urbanen Raum überlagern sich soziale und ökonomische Prozesse und Interessen besonders. Sie formen und verformen ihn. In ihm zeigen sich soziale Utopien und wirtschaftliche Interessen, der Versuch der gesellschaftlichen Einbeziehung und Ausgrenzung von Menschen. Der urbane Raum erzählt eine Geschichte von Hoffnung, Diskriminierung, Verleumdung und dem Schüren eines Klimas der Angst oder dem Forcieren von Stereotypen und den damit verbundenen Ängsten, die letztlich der Umsetzung von ökonomischen Einzelinteressen, sozialer Selektion und Exklusionsprozessen und deren Ergebnisproduktion dienen. Was bedeutet Herkunft innerhalb sozialer Schließungsprozesse wie Inklusion und Exklusion. Dort wo sozialer Wohnungsbau der Gentrifizierung zum Opfer fällt. In Peggy Buths Arbeiten Vom Nutzen der Angst und Leute wie wir werden diese Fragen aufgegriffen und lassen viel Raum zum Antworten finden.

 

... - Frankreich - USA - Deutschland - ...

 

Vom Nutzen der Angst zeigt Politische Geschichten der Städte und Vorstädte. Peggy Buth begann all ihre Recherchen im Rahmen von Stipendien.

 

Ihre Arbeit begann in La Courneuve (Banlieue von Paris, Frankreich). 2005 kam es dort zu 20 Nächte andauernden Unruhen in der Banlieu.

Ursprung war eine polizeiliche Verfolgungsjagd, bei der zwei Jugendliche zu Tode kamen:

https://www.nytimes.com/2005/11/07/world/europe/behind-the-furor-the-last-moments-of-two-youths.html

 

Die Berichterstattung erfolgte weltweit und teilweise polemisch; Meldungen wie “Migrantenkrieg in Frankreich”, “Frankreich am Rande des Bürgerkriegs” waren in den Medien und nicht nur in rechten Portalen verbreitet. Unruhen wurden auf Karten als sich großflächig ausbreitende Invasionen dargestellt, obwohl es sich vor Ort flächenmäßig nur um kleinere Vorfälle handelte. Freunde von Buth, die selbst in La Courneuve gewohnt haben, das in der Zeit als “No Go Area” gebrandmarkt war, berichteten von ernstzunehmenden Unruhen aber Umständen weit entfernt von einem Bürgerkrieg. Das nahm Buth zum Anlass, sich mit der Thematik der Angst und Angstproduktion im Rahmen ökonomisch politischer Interessen und im Kontext der sozialen Ungleichheit zu beschäftigen. Wenige Jahre später erging ein Strukturwandel über die Wohngebiete, der Block wurde abgerissen und Sozialwohnungen wichen Wohneigentum (Gentrifizierung).

 

Kinloch (Missouri, USA) - Was die Orte verbindet: Aufbruch einer politischen und bürgerrechtlichen Emanzipation einer Nachkriegszeit oder auch die Vorstellung einer besseren und gerechteren Stadt des sozialen Wohnungsbau der 50er und 70er Jahre aber auch das vermeintliche Scheitern der Projekte der Moderne. Kinloch ist eine der ältesten aforamerikanischen Communities. 1960 lebten dort 6.500 Einwohner. Zwischen 1990 und 2000 sind über 75% der Einwohner wegen des Flughafenbaus (International Airport St. Louis) verzogen. Vor dem Flughafenbau war Kinloch relativ florierend und unabhängig, es gab zum Beispiel eine eigene Schule und ein Postamt. 2010 lebten in Kinloch nur noch 298 Einwohner, davon 94% Afroamerikaner. Die Stadt ist heute noch ohne Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr, ohne eigene Schule, hat keine eigenen Geschäfte, keine eigene Sozialeinrichtungen. Kinloch gilt in der Nachbarstadt St. Louis als No-Go Area und als Ort der Angst. Ein Ort an den die Gangs von St. Louise bringen angeblich ihre Toten hinbringen und an dem Drogen gehandelt werden. Basierend auf diesen Aussagen stellte Buth Recherchen an.

 

In Buths Arbeit sieht man Ausschnitte von Erinnerungsvideos einer Pruitt-Igoes Reuniongala aus dem Jahr 2010. Über 100 ehemalige Mieter*innen von dem Viertel treffen sich jährlich und feiern gemeinsam die Erinnerungen von Personen vor Ort, darunter läuft ein Video von aktuellem Zustand des Geländes. Pruitt-Igoe war ein Stadtprojekt zur Armutsbekämpfung in St. Louis, scheiterte jedoch kläglich. Der 1955 gebaute Gebäudekomplex mit rund 2.800 Wohnungen existierte nur rund 20 Jahre. Die Kritik an diesem Projekt setzt an mehreren Punkten an: Die Übernahme des Siedlungsschemas aus New York City (zu große soziale und ökonomische Unterschiede), fehlende grundlegende soziale Infrastruktur, Planungen die nicht an Bedürfnisse angepasst waren, wie zum Beispiel Fahrstühle, die nur in jedem dritten Stock hielten, um soziale Interaktion der Bewohner in den Treppenhäusern zu erzwingen. Pruitt-Igoe ist ein Symbol des Scheitern des modernen Wohnungsbaus und eine Parallele zu den Ereignissen in den Banlieuse in Frankreich.

 

Für die Folkwang Ausstellung entwickelte Buth einen dritten Teil, der sich mit Essen, Bochum und Duisburg beschäftigt. Ausgehend von aktuellen Umweltbildern und Erfahrungen der sozialen Gegensätze in der Ruhrregion. Er beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Welche Strukturen und Perspektiven haben Industrialisierung und De-Industrailisierung hinterlassen? Welche Geschichte liegt diesen Entwicklungen zugrunde? Relevanz von Solidarität und Empathie? Was bedeutet der lang gehegte Mythos des Malochers? Warum ist das der Wir-Begriff oder auch “wir alle” und “uns”, die im Revier so oft verwendet werden und bis zur “Entleerung” strapaziert worden sind und durch die Entleerung ein politisches Tool geworden sind. Eine Entleerung, die in Buths Augen wieder nutzbar gemacht worden ist für eine ziemlich stark voranschreitende Entwicklung in der Gesellschaft wie aktuelle Prozesse der Entsolidarisierung und Ausgrenzung. Die Stadtteile, in denen sie ihre Recherchen anstellte, gelten – wie auch La Courneve und Kinloch – als No Go Area. https://www.lokalkompass.de/essen-nord/c-politik/und-taeglich-gruesst-die-no-go-area_a823373

 

Peggy Buth “Vom Nutzen der Angst - The Politics of Selection” Ehemalige Kirche St. Barbara Duisburg-Rheinhausen 2018

Motivation / Ausgangspunkte / Interessen ihrer mehrteiligen Arbeit:

  • Urbane Räume
  • soziale und ökonomische Prozesse und Interessen
  • die sich wahrnehmbar und sichtbar überlagern
  • sie formen und verformen
  • soziale Selektion und Exklusionsprozesse und deren Ergebnisproduktion

 

 Welche Freiheit, welche Prägung oder auch welche soziale Stigmatisierungen werden mit Orten oder Wohngegenden verbunden?

Was hat soziale Ungleichheit mit dem Raum zu tun?

 

La Courneuve (Banlieue von Paris, Frankreich) 2013

  • Landesweite Unruhen von 2005 nach dem Tod zweier Jugendlicher durch die Willkür von Polizeibeamten
  • Thematik der Angst und Angstproduktion im Rahmen ökonomisch politischer Interessen und im Kontext der sozialen Ungleichheit
  • Strukturwandel

Kinloch (St. Louis County im US-Bundesstaat Missouri) 2015

  • Städteplanung, Ökonomie, Rassismus und deren Repräsentationen
  • 1960 6.500 Einwohner, 1990-2000 über 75% der Einwohner verzogen wegen des Flughafenbaus (International Airport St. Louis)

Ruhrgebietsstädte Bochum, Essen und Duisburg 2017

  • Welche Strukturen und Perspektiven haben Industrialisierung und De-Industrailisierung hinterlassen?
  • Was bedeutet der lang gehegte Mythos des Malochers?
  • Wir-Begriff und dessen Entleerung
  • z. Bsp. Altenessen im Essener Norden

 

Archivarbeit und Recherche für die mehrteilige Installation in Duisburg Rheinhausen:

 

 

 

 

Präsentationsort als Rückführung in den spezifisch urbanen Kontext

 

Ihre Namensgeberin ist die Schutzheilige der Bergleute: die Kirche St. Barbara, die 1961–1964 in einem Wohnquartier für die Beschäftigen der unmittelbar benachbarten Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG errichtet wurde.

 

Drei Kanal Film Leute wie wir in neun Teilabschnitte gegliedert

 

1. Prolog Solidarität : Gang über die Brücke der Solidarität

2. Arbeiter verlassen die Fabrik

3. Leute wie wir

4. Tag der Arbeit

5. Krupp Stadt Essen

6. Verdrängen, Erinnern, Repräsentieren

7. Nokianer, Opelaner, Kruppianer

8. Vom Nutzen der Angst

9. Du bleibst, was du bist

 

 

 

 

Bild-Ausschnitt aus Prolog Solidarität:

Gang über die Brücke der Solidarität

 

 

Helmut Laakmann hielt vor mehr als 10.000 Stahlarbeitern*innen eine Rede, die vielen Menschen aus dem Herzen sprach und die in die Geschichte eingehen sollte. Hier ist ein Beispiel für den damaligen Umgang des öffentlich rechtlichen Fernsehens. Welches Bild erhält die Öffentlichkeit von der Realität des existenziellen Arbeiterkampfs in Rheinhausen und wie wird darüber mit Helmut Laakmann gesprochen? (dazu auch Öffentlichkeiten für das Archiv von Kai van Eikels)

 

SWR Abend-Sendung „Drei vor Mitternacht“ / Demagoge - Rhetorikexperte - Naturtalent

 

 

 

 

Zeitung – CHOR TOR 1 in Zusammenarbeit mit Annegret Keller-Steegmann und Veteranen es CHOR TOR 1 - Auflage von 3.000 Exemplaren

Die in Zusammenarbeit mit Annegret Keller-Steegmann und Veteranen des CHOR TOR 1 erstellte Zeitung vertieft die Auseinandersetzung mit der Kultur der Arbeiterchöre und gibt Einblick in einige Lieder und Texte des Chores, die während des Duisburger Arbeitskampfs von 1987 bis 1993 enstanden sind.

 

 

 

 

 

 

 

Vier Kanal Diaprojektion, 324 Kleinbild-Dias, jeweils 81 Dias

 

 

• Bilder und Zitate aus Werkzeitungen und/oder

 

• Flugblättern und Zeitschriften streikender Arbeiter

 

• schwer erkenntlicher Kontext

 

Welche Geschichte wird von wem mit welchen Bildern erzählt?

 

 

Fünf Videocollagen mit Material aus dem Freien HWR-Archiv Rheinhausen:

 

Erich Speh - Offener Kanal (OK) Rheinhausen

Sowie der Medienszene Duisburg e.V.

 

Pressestimmen von 1988:

 

https://taz.de/Brechtsche-Medientheorie-live-in-Rheinhausen/!1853028/

 

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13527847

 

 

1000 Stunden Videomaterial, die täglichen Aufzeichnungen des Arbeitskampfes 1987/88 durch den ehemaligen Kranführer Erich Speh und Aufzeichnungen des Offenen Kanals, sowie weitere Videos wurden am 10. Mai 2019 an das Krupp Archiv übergeben. Das Material wurde von den Studierenden Jan Luca Ott und Alex Bartsch des Fachbereiches Medienkunst der HGB Leipzig mit Professorin Peggy Buth bearbeitet und digitalisiert.


Achim Lengerer - „Tonspuren zur Linken“ spürt den Verbindungen zwischen den linken Gruppen in Köln und im Ruhrgebiet und den migrantischen Kämpfen seit den 1970er Jahren nach.

 

Die komplexen Geschichten radikaler linker und solidarischer Politik sind im Bewusstsein der deutschen Merheitsgesellschaft/Öffentlichkeit kaum präsent. Tonspuren zur Linken sucht und sammelt die Geschichten als fortlaufendes kollaboratives Work in Progress im Sine einer "oral history" zusammen.


Tipp zur Vertiefung in die Geschichte(n) der Arbeiterbewegung:

https://www.youtube.com/results?search_query=geschichte+arbeiterbewegung+