Performance Art archivieren


Performancekunst – Herausforderung an das Archiv?

 

 

Zum Stand der Debatte

 

 

Während die Performancekunst seit ihrem Entstehen die Frage in den Raum stellt, wie die dynamische Kunst ihre würdige Darstellung in Archiven findet, versuchen KunsthistorikerInnen seit der aufkommenden Debatte in den 1990er Jahren darüber, Antworten und Möglichkeiten zu finden.

 

Wichtig ist zunächst einmal die Verlagerung von der ontologischen Dimension der Ereignisrekonstruktion in eine phänomenologische Dimension der Wahrnehmung. Entgegen dem Postulat von Peggy Phelan zeichnet sich die Performancekunst eben nicht mehr durch ihr Verschwinden aus, sondern dadurch was durch sie entsteht, demnach verdienen ihre Dokumente mehr Aufmerksamkeit. Auch laut Barbara Clausen beginnt der Umgang mit Performancekunst nicht erst mit dem Erleben und endet somit gleich wieder, sondern ist entgegen seiner ontologischen Ursprungsmythen als fortlaufender Prozess eines Wechselverhältnisses zwischen Ereignis, Medialisierung und Rezeption zu verstehen.

 

Schenkt man dem Statement der Kunsthistorikerin Amelia Jones Gehör, dass das Performance-Ereignis die Fotografie benötigt um das Ereignis überhaupt statuieren zu können, würde die Performance selbst erst durch ihre Dokumente zu einem Werk werden, und das Performance-Archiv wäre als Sammlung von medialen Weiterschreibungen zu verstehen. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Livemoment und medialen Relikten kann die Performance selbst allerdings ebenso als Form eines Dokumentes verstanden werden, da sie kulturelle Praktiken tradiert. Den Dokumenten kann somit Performativität zugeschrieben werden, da sie nicht einzig einen sicheren, zu bewahrenden Wert darstellen, sondern eine neue Handlung bewirken, ebenso wie auch Gedächtnisbildung.  

Trisha Brown, It's a Draw 2002 (With images) | Performance art ...

Trisha Brown, It's a Draw 2002

 

Stellt man sich also der Aufgabe, Dokumente der Performancekunst zu archivieren um ihre Prozesshaftigkeit zu erfassen, ist eine genaue Bezeichnung dieser Dokumente unabdingbar. So sind beispielsweise ungeschnittene Videoaufzeichnungen besonders interessant für die Forschung, da sie Infos zur zeitlichen Dimension, zu Bewegungen und Abläufen, zur akustischen und atmosphärischen Situation, wie auch zu Publikumsreaktionen liefern. Subjektive Videoaufnahmen sind hier als Interpretationen zu betrachten, die sich vor allem für die künstlerische Weiterschreibung eignen, ebenso wie Bilder und Bilderreihen.  Auch Statements von Augenzeugen als Audioaufnahmen stellen einen wichtigen Aspekt dar, um Details der Performance und spezifische Rezeptionsweisen zu übermitteln.

 

Auf den Punkt gebracht lädt die Performancekunst ihre Betrachter ein, zum Recherchieren, Wiederbeleben und Neuinterpretieren, verpflichtet sie gleichzeitig aber auch zur Auseinandersetzung mit ihren Dokumenten, um sie zu einem möglichst greifbaren Archivgut zu machen.

 

 

Storytelling in the Archives

 

Wie die praktische Umsetzung der Archivierung von Performancekunst aussehen kann, zeigt sich im Video vom Performance Forum zum Storytelling in the Archives des MoMA. Im Folgenden findet ihr ein Beispiel für die Archivarbeit im Umgang mit Performancekunst, im angefügten Link könnt ihr euch jedoch auch den kompletten Talk anschauen.

 

Um einen Einblick in die Praxis zu geben lohnt sich der Blick auf die Downtown Collection der Fales Library der NYU. Dessen Direktor stellt im Talk die Arbeit des Archivs vor, die sich auf eine umfassende Sammlung verschiedenster künstlerischer Praktiken, Ergebnissen und Dokumenten der Downtown Szene aus den 1970ern bis in die 1990er Jahre konzentriert und verschiedenste Formate umfasst. Neben der Collection findet sich an der NYU ebenso die Artist-Archives-Initiative, um die Forschung zur Förderung und Konservierung zeitgenössischer Kunst zu fördern. Dabei liegt der Schwerpunkt gleichermaßen auf dem Inhalt der Ressourcen und der zur Unterbringung der Informationen verwendeten Softwaretechnologie.  

 


Magic Box - David Wojnarowicz Knowledge Base

 

 

Hier findet ihr das Video zum Storytelling in the Archives sowie die Homepages mit weiteren Infos:

 

https://www.youtube.com/watch?v=eYqKSTDpjrY  - Storytelling in the Archives

 

https://guides.nyu.edu/downtown-collection - Downtown Collection

 

http://artistarchives.hosting.nyu.edu/Initiative/ - Artist-Archives-Initiative

 

Lucia Höpfner

 

 

 

 

 

 

 

Archiv Performativ: Zur Tradierung von Performancekunst

 

Im Rahmen des Seminars wurde das SNF/Dore Forschungsprojekt archiv performativ den Studierenden in Form meines Referates vorgestellt. Es handelt sich dabei um ein Modell-Konzept zur Dokumentation und Aktualisierung von Performancekunst des Institutes for Cultural Studies in the Arts (ICS) an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.

 

Die Laufzeit des Projektes fand von April 2010 bis Juni 2012 mit einer Reihe von Praxispartnern (Kaskadenkondensator Basel. Raum für aktuelle Kunst und Performance; Ausstellungsraum Klingental, Basel; Kaserne Basel, bildwechsel, kultur- und medienzentrum für frauen, Hamburg) und Kooperationspartnern (u.a. Hochschule für Musik und Theater HMT, Leipzig, Goethe Universität Frankfurt a. M., Institut Kunstpädagogik, Freie Universität Berlin, Institut für Theaterwissenschaft etc.) statt. Das Modellkonzept zur Dokumentation und Archivierung von Performancekunst war konzipiert als anwendungsorientierte Grundlagenforschung und gliederte sich in folgende drei Forschungsphasen:

 

Forschungsphase 1:
- Befragung von Institutionen und Akteuren im Feld der Performancekunst
- Recherche in Sammlungen und Archiven (fünf aus der Schweiz und drei ausländische)
  Bei den exemplarischen Recherchen in den Sammlungen/Archiven lag der Fokus auf den folgenden Fragestellungen:
                 - Inwiefern ist das Material öffentlich sichtbar bzw. zugänglich?
                 - Welche Such- und Ordnungskriterien werden angewendet?
                 - Wie ist das Material beschriftet?
  Diese Fragen wurden anhand von zwei exemplarisch ausgewählten Künstler/innen bzw. Performances untersucht.

 

- Interviews mit Sammlern/innen und Nutzern von Performancedokumenten  (z.B. KünstlerInnen, die kuratieren, dokumentieren, unterrichten und forschen)
   Im Fokus stand die Fragestellung:  

 

Welchen Stellenwert nehmen die einzelnen Artefakttypen jeweils innerhalb der praktizierten Überlieferung von Performancekunst ein?

 

- Im Zentrum der qualitativen Evaluation standen die verschiedenen Dokumentationsmaterialien/- medien, als ARTEFAKTE bezeichnet.

 

Forschungsphase 2:
- Die Erkenntnisse der ersten Forschungsphase flossen in die Konzeption des praxisgeleiteten Ausstellungs- und  Vermittlungskonzeptes archiv performativ:
  ein Modell
im Ausstellungsraum Klingental in Basel ein.
- Arbeitsmaterial: Archivmaterial der Performances von 1998 bis 2008 aus dem Kaskadenkondensator Basel
- Vier Forschungsteams bestehend aus KünstlerInnen, VermittlerInnen und WissenschaftlerInnen arbeiteten dort einen Monat lang mit den bereitgestellten
  ARTEFAKTEN und mit spezifischen Fragestellungen zur Dokumentation und Weiterschreibung von Performancekunst.
- Tagung Recollecting the Act. Zur Tradierung von Performancekunst, Kaserne Basel: Vergleich der Ergebnisse des Modell-Archivs mit vergleichbaren
   (inter-)nationalen Forschungsprojekten

 

Forschungsphase 3:
- Alle Performances während des Modellarchivs und der Tagung wurden dokumentiert.
- Auswahl von sechs Performances als Fallbeispiele und Analyse medienspezifischer Tradierungseigenschaften bestimmter ARTEKFAKTE.

 


Ergebnisse/Fazit des Forschungsprojektes:
Bei der Dokumentation und Archivierung von Performancekunst geht es in erster Linie darum,  Wege und Modelle der Weiterschreibung  zu formulieren.
- Jede Tradierung stellt eine Art Weiterschreibung dar.
- Grundlage für die Weiterschreibung und die Repräsentation von Performancekunst sind mehrere ARTEFAKTEN-TYPEN, die öffentlich zur Verfügung stehen.
   Die Wahrscheinlichkeit einer Tradierung der Performance steigt damit.
- Eine Performance-Dokumentation ist die Summe aller Materialien, die bei der Vorbereitung einer Performance hergestellt werden, während einer
  Performance eingesetzt oder im Rahmen der Aufführung produziert werden.
-  Indem die Performancetheorie in ihren Anfängen nur auf Präsenz und das Liveerlebnis setzte, deren Flüchtigkeit betonte und von jeglicher Dokumentation
   abriet, hat sie eine Geschichtsschreibung ver- oder zumindest behindert. Demgegenüber hat  sich die Diskussion seit den 1990er Jahren von der
   ontologischen Dimension in eine phänomenologische verlagert.
- Tradierung ist kein statisches Gedächtnis, sondern ein kultureller Prozess der Gedächtnisbildung über performative Praktiken.
- Praktiken der Tradierung basieren immer auf Wiederholung (in Bezug auf Judith Butler) und Wiederholung  impliziert stets Verschiebung oder Abweichung,
   egal ob beabsichtigt oder nicht.
- Weiterschreibung sind neben der Herstellung von Dokumenten/ARTEFAKTEN auch Re-enactments, Re-Performances und andere künstlerische
  Aneignungsstrategien, die ebenfalls Tradierungsmethoden darstellen. Diese Methoden erzeugen unterschiedliche Überlieferungsintensitäten und
  Leistungen (Originalgetreues Re-enactment, interpretative Re-Performance, Neuformulierung in einem künstlerischen Werk)
- Für die  historische Aufarbeitung ist eine bestimmte Kombination oder eine Vielfalt unterschiedlicher Performance-Artefakte unabdingbar.

ARCHIVE, SAMMLUNGEN, ANSAMMLUNGEN von Performance-ARTEFAKTEN
- müssen öffentlich zugänglich und sichtbar sein, sonst erfüllen sie ihre Aufgabe nicht.
- müssen die eigene Konstruiertheit reflektieren und seine Ein- und Ausschlußverfahren transparent machen.
- soll keine passive Sammlung sein, sondern das Ergebnis performativer Tätigkeiten und Verfahren.
- Archive können lebendig und sichtbar gemacht werden durch eine retrospektive, prospektive, projektorientierte und kollaborative Nutzung.
- die Fragmentierung und Disparatheit der „ARTEFAKTENLAGE“ in Archiven kann zu neuen Formen einer Performance-Geschichtsschreibung führen.

 
Quellen:
http://archivperformativ.zhdk.ch/
https://archivperformativ.wordpress.com/

 

Ivette Bjarnason, 07.06.2020

 

 

 

 

 

 

 "Stepping into the Unknown" - Das " Zwischen den Zeilen"  archivieren - Ein Überblick in das "Pina Bausch Digital Archiv"

 

Fakten: 

 

Die Pina Bausch Foundation wurde nach Tod PBs vom Sohn Solomon Bausch am 3.August 2009 gegründet. Einher damit ging der Gedanke das künstlerische Erbe zu erhalten und archivarisch zu bewahren.

Es beinhaltet daher einen umfangreichen Archivbestand, darunter Urheberrechte von Stücken und Choreographien der Künstlerin Bausch sowie Bühnenbilder und Kostüme von Rolf Borzik.

Bezeichnet sind auch die Mitglieder des Vorstands und des Stiftungsbeirats unter denen sich  unter anderem Anne Teresa de Keersmeaker befinden sowie Pedja Muzijevic. Die Aktivitäten der Stiftung selbst belaufen sich neben der Vermittlung von Pina Bauschs Kunst durch verschiedene Veranstaltungsformate adressiert an unterschiedliche Zielgruppen vor allem auf den Aufbau des Pina Bauschs Archivs.

Die Förderung wird übernommen durch Beauftragte der Bundesregierung für Kultur

und Medien, die Kulturstiftung des Bundes, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen,

die Dr. Werner Jackstädt-Stiftung für die Stadt Wuppertal, den Tanzfonds Erbe und den Landschaftsverband Rheinland.

 

Mission:

 

Zu aller erst geht es darum das künstlerisches Erbe Pina Bauschs und der Company lebendig zu erhalten. 

Das umfangreiche Material zu erschließen und einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen wodurch eine weltweite Recherche gewährleistet wird und nötig ist.  Angesprochen fühlen dürften sich Weggefährten, Tänzer, Mitwirkende sowie Zuschauer, einfach Neugierige, Fachleute und Laien.

 

Bestand:

Nach aktuellem Stand kann das Archiv eine Materialfülle zu 53 Stücken der Choreografin nachweisen. Die sind zum Teil auch bereits digitalisiert. Physische Objekte wurden vermessen, beschrieben und fotografiert. 38.000 Fotografien sind digitalisiert und fast 3.900 Videos, 3.900 Kostüme sowie 1.100 Programmhefte. Ein Archiv Parcour als Erlebnislabor macht das Material lebendig. An 4 Stationen wird der Bestand, die Fotos sowie Videos und Daten erlebbar gemacht.

 

“Archiv kein trister Dokumentenspeicher , sondern ein Ort des lebendigen Austauschs, künstlerisch wie wissenschaftlich.”

 

 

Herausforderung vor der Daten Erhebung: 

1. Aus der Sicht Solomon Bausch (Vorstand Pina Bausch Foundation/ Sohn):

Pina Bausch hatte bereits während ihrer Arbeit am Tanzhaus Wuppertal ein Archiv angelegt.  Eigenheit des Tanzhauses ist es aber eher systhematisch -unsysthematisch zu sein. Somit fließt viel Material zusammen, das aus vielen Sichtweisen betrachtet und erschlossen werden kann. Da Datenbanken Struktur benötigen war hier die erste Hürde zunehmen. Das heterogene Material war zu dem selbst Prozessen unterlegen. Stücke haben sich innerhalb der Jahre verändert, somit auch die Berichterstattung und Notierung.  An welchem Punkt setzt man dann an? - Zu allerletzt gibt es eine Fülle von konträren Material, in dem Daten von z.B Aufführungen nicht übereinstimmten und nachrecherchiert werden mussten.

 

2. Sicht Barbara Kaufmann (Tänzerin/ Probenassistenz):

Angesichts der Fülle des Materials stand sie auch vor der Frage wie es zu fassen sei. Wie kann ein dynamischer Prozess z.B Proben in einer ganzheitlichen Struktur dargestellt werden? Wie sind Dinge, die man nicht sehen kann, die zwischen den Zeilen stehen erfassbar? Für Kaufmann darf es keine Limitation, Interpretation, Urteile oder Auslassung des  Materials geben. Für sie brauchte es eine Präzision des Materials. Was braucht ein Probesetting? Wiederaufnahme? Für sie sind dabei zwei Punkte entscheidend:

 

"externes Material (externe Erinnerung) & internes Material (interne Erinnerung)

- Videos -                         &    - Erinnerung des Erlebten in jedem Tänzer -

 

Für sie sind Videos nicht absolut, nur integrativ, da sie Empfindung nicht abbilden können.

 

 

Die Unkonventionelle Lösung und Anforderungen an ein Digitales Archiv- Lets digitalise it!

1.Sicht  Prof.Dr.Bernhard Thull ( Universität Darmstadt): 

 

Eine Kooperation mit der Hochschule Darmstadt entwickelte Datenbank (mit neuster Technologie ) - Erfahrung mit William Forsythe Dance Company und der MotionBank. 

 

 

Anforderungen: 

Archiv soll lokales und verteiltes Material zu einer zusammenhängenden Sicht vereinen.

Archiv soll dynamisch sein, um spätere Verschiebungen der Sichtweisen einzupflegen.

Archiv speichert Widersprüche bis sie belegt sind.

Archiv erlaubt Verlinkung mit anderen Archiven

 

=> Ansatz: LINKED DATA - Vernetzung- Webbased Standard

Grundidee: Daten  aufzunehmen wie sie da sind - später Modelperspektiven nach Bedarf entwickeln

 

Lösungen: 

 

Archiv soll lokales und verteiltes Material zu einer zusammenhängenden Sicht vereinen. -> Verwendung von “linked data”- Unstimmigkeiten durch logisches Schlussfolgerungen System “Store” gelöst

Archiv soll dynamisch sein, um spätere Verschiebungen der Sichtweisen einzupflegen -> Vokabular und Ontologien an die momentan Perspektive anpassen

Archiv speichert Widersprüche bis sie belegt sind. -> Verwendung von “linked data”, Erhebung der Autoren 

Archiv erlaubt Verlinkung mit anderen Archiven -> Verwendung von” W3C” Standards und Anheftung von “linked data”

 

 

Aktueller Stand: 

 

Durch das FRBR System- Functional Requirements Bibliographic Records soll die Datenbank einen Bibliothek Status annehmen. Jedes Objekt soll zu dem seinen eigenen Platz finden. Zum jetzigen Zeitpunkt im Jahre 2020 soll die die Datenbank erstmals online gehen und 5 Stücke vollständig mit allen Verlinkungen erfasst sein.